Interview mit Viktor Orbán in der Sendung „Heute Abend“ („Ma este”) des öffentlich-rechtlichen Fernsehens „m1“

20 November 2015

16. November 2015


Anett Szabó: Europa ist angegriffen worden, auch wir sind in Gefahr. Nicht nur das französische Volk steht im Krieg, die Europäische Union ist angegriffen worden, auch wir sind nicht in Sicherheit – so hat heute der Regierungschef in seiner Wortmeldung vor der Tagesordnung im Parlament formuliert. Ich begrüße unsere Zuschauer. Und ich begrüße Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsidenten, der unser Team im Nándorfehérvárer Saal, seinem Arbeitszimmer empfängt. Wir bedanken uns hierfür!
 
Ich wünsche einen guten Abend.
 
Herr Ministerpräsident, wie haben Sie das verstanden, dass auch wir in Gefahr sind? Gibt es seit den Informationen vom Samstag neuere Informationen darüber, dass eventuell in Ungarn unmittelbare Terrorgefahr bestünde?
 
Neuere Informationen sind nicht nötig, denn das wirkliche Leben hat alle unsere Erwartungen übertroffen oder unterboten. Es ist also Tatsache, dass nachdem wir mehrere hunderttausend solcher Menschen nach Europa hereingebracht haben, weil wir sie nicht nur hereingelassen, sondern nach Europa hereintransportiert haben, von denen wir nicht wissen, wer sie sind, nicht genau wissen, woher sie kommen, nicht wissen, was sie wollen – und es ist offensichtlich, dass einige von ihnen diese riesige Migrantenflut dazu benutzen, um als Terroristen nach Europa hineinzugelangen –, die Gefahr ist eine ständige und unmittelbare.
 
Noch bevor wir in europäischen Dimensionen, in europäischen Relationen über Verantwortliche und mögliche Lösungen sprechen würden, bleiben wir ein bisschen bei Ungarn. Außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen sind in Kraft getreten, doch über die Maßnahmen operativer Art hinaus wissen wir genau, dass auch eine juristische Vorbereitungsarbeit für die Sitzung der Regierung am Mittwoch durchgeführt wird. Sie möchten an den Maßnahmen gegen den Terrorismus Veränderungen vornehmen. Was heißt dies genau? Was muss sich grundlegend ändern, und was wird sich ändern, und welche Regelung, ganz gleich ob international oder gar transatlantisch, wird die Grundlage für diese Veränderung sein?
 
Erstens möchte ich sagen, dass die Mitarbeiter der ungarischen Sicherheitsorgane, der Geheimdienste, des Zentrums für Terrorabwehr seit Monaten der ungarischen Regierung kontinuierlich gemeldet haben, dass das, was geschieht, das heißt das unkontrolliert und ohne jede Informationen Massen aus solchen Ländern hereinströmen, mit denen oder auf deren Gebiet die Europäische Union im Krieg steht, hinsichtlich der Sicherheit, die Sicherheit Ungarns mit eingeschlossen, schwerwiegende Folgen haben wird. Für die Errichtung des Zaunes sprachen auch wichtige Argumente der Sicherheit. Ich habe also ständig versucht, das Wissen der Fachleute der ungarischen Geheimdienste, der Terrorabwehr und der Polizei zu integrieren. Nun, dies ist nicht überall in Europa so geschehen, deshalb ist es sehr wichtig, festzuhalten, dass die ungarische Regierung jetzt ihre Denkweise nicht verändern muss, weil wir auch bisher die Linie beschritten hatten, dass die Sicherheit der ungarischen Menschen an der ersten Stelle steht. Ich würde also auf Grund dessen was geschehen ist, Ihnen eher sagen, dass wir unsere bisherige Politik fortsetzen, sie verstärken müssen, doch die Richtung und die Zusammenarbeit zwischen der Regierung, der Politik und der Fachdienste war in Ordnung. Es lohnt sich, die Gesetze zu verändern, denn es gibt Probleme hinsichtlich des Umgangs mit Daten, jedoch halte ich es jetzt noch für verfrüht, hierüber zu sprechen. Lassen wir die Regierung diese Probleme am Mittwoch lösen.
 
Ich würde den Gedanken aufgreifen, den Sie eben auszuführen begonnen haben, dass die Geheimdienste, die verschiedenen Organisationen diese Gefahr Richtung Ungarn angezeigt hatten. Ich würde leise hinzufügen, dass die verschiedenen Geheimdienste in abgestimmter Arbeit dies auch Richtung Europa angezeigt hatten. Warum hat Europa diese Stimmen nicht beachtet? Warum erwacht es also erst jetzt, wo die Weckuhr klingelt, wenn es überhaupt erwacht? Ich denke jetzt an die Ereignisse in Paris am Freitag.
 
Sie haben mir jetzt eine sehr schwere Frage gestellt, denn mit einem nüchternen Verstand kann man hierauf nur schwer eine Antwort finden. Ich kann nur von meinem Beispiel ausgehen, als diese Warnungen von den für die Sicherheit verantwortlichen Fachdiensten die ungarische Regierung erreicht hatten, klingelte sogleich eine Alarmglocke in unserem Kopf. Woanders ist dies nicht geschehen. Es kann sein, dass es dort, in jenen Köpfen keine Alarmglocken gibt. Das können wir jetzt nicht sagen, ich kann nur soviel sagen, dass Ungarn im Interesse des Schutzes seiner eigenen Bürger und Europa, und der europäischen Bürger all das getan hat, was möglich ist. Ja sogar noch etwas mehr, weil wir im Übrigen auch polizeiliche Grenzschutzeinheiten über die Landesgrenzen hinaus verschickt haben. Was ich Ihnen mit Sicherheit mitteilen kann, ist, dass es nicht das erste Mal in Europa vorkommt, dass irgendein Gedanke – übrigens ein scheinbar schöner und edler Gedanke – sich der politischen Entscheidungsträger bemächtigt, und die Gesichtspunkte der Sicherheit, der Kriminalität, die Gefahren auf irgendeine Weise ausgeklammert werden. Die europäische Politik hat sich häufig auf solche Pfade verirrt, und so wie ich es sehe, beschreiten wir auch jetzt einen falschen Pfad. Es ist noch immer die bestimmende Meinung in Brüssel und auch in einigen großen Ländern der Europäischen Union, dass die Einwanderung insgesamt eine gute Sache sei, ja dass das, was Europa jetzt macht, richtig und nützlich sei. Dabei ist es zum Beispiel für uns Ungarn offensichtlich, und damit stehen wir vielleicht nicht allein da, dass das was wir tun, weder nützlich noch richtig ist.
 
Und es ist, nicht wahr, auch offensichtlich, wenn ich Ihren Gedanken fortsetzen darf, dass die falsche Politik, wie Sie gerade formuliert hatten, Folgen hat, weil man es nur als Folgen interpretieren kann, was Freitagnacht in Paris geschehen ist.
 
Es wird hier, verzeihen Sie, aber es wird hier einen verzweifelten Versuch geben, oder es gibt ihn bereits, was ich aus den Brüsseler Erklärungen herauslesen, herausschälen kann, die europäischen Menschen jetzt davon zu überzeugen zu versuchen, dass es keinerlei Zusammenhang zwischen der Einwanderung und dem Terrorismus gibt. Es ist äußerst deprimierend, dies zu sehen.
 
Setzen wir hiermit fort. Sie haben in Ihrer heutigen Parlamentsrede auf die der modernen Völkerwanderung entspringenden Gefahren aufmerksam gemacht, und als erstes haben Sie als wichtigstes Moment die Terrorgefährdung bezeichnet. Welche sind die weiteren dahinter steckenden Gefahren? Ich denke an wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle Gefahren, die praktisch die gesamte Existenz Europas bedrohen.
 
Doch sollten wir nicht so leicht über den Terrorismus hinweggehen, denn es lohnt sich doch darüber nachzudenken, dass mehrere hunderttausend Menschen – dies sind Männer in guter Verfassung, wir haben sie auf den Bildern gesehen – hereingekommen sind, über die wir nicht wissen, ob sie Soldaten waren, ob sie Mitglieder irgendeiner Organisation sind, ob sie jemals an einer militärischen Aktion teilgenommen haben, ob sie jemals einen Menschen getötet haben. Wir haben keine Vorstellung davon, was sie über den Wert des menschlichen Lebens denken. Das, was wir Europäer, oder etwas anderes? Und wir wissen nicht, wie viele solcher sich jetzt in Europa befinden, also glaube ich, es müssen einige Tage vergehen, und dann muss die gesamte europäische politische Führung eine Wende vollführen, weil dies jene Fragen sind, die seit Freitag oder seit Samstagmorgen jeden europäischen Menschen interessieren. Unser zweites wichtiges Problem ist die öffentliche Sicherheit, über die man in Europa nicht sprechen darf. All das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, würde, wenn ich es in Deutschland oder Schweden oder in Paris sagen würde, dazu führen, dass man mich aus der Reihe der im politischen Leben akzeptierten Akteure ausstieße.
 
Doch glauben Sie, dass man auch jetzt, also nach den Pariser Ereignissen vom Freitag hierüber in Europa nicht sprechen darf, anstatt dass es zwingend wäre, dies zu tun?
 
Ja. Schauen Sie, nein, denn ich spreche auch darüber, dass es hier auch diesen Problemkreis der öffentlichen Sicherheit gibt, und ich sage noch einmal: dies ist nicht PC, doch die Situation ist die, dass dort, wo es viele Einwanderer gibt, die Zahl der Straftaten steigt, dort lässt die öffentliche Sicherheit nach, dort wird das Leben immer schwieriger, es kommen mehr gewalttätige Verbrechen vor, es gibt mehr Diebstähle, mehr Raubüberfälle, mehr Tötungen, die Zahl der Vergewaltigungen nimmt rapide zu. Wir müssen also wissen, wenn wir diese Menschen hereinlassen – ich verdächtige selbstverständlich persönlich niemanden, weil ich sie nicht kenne, weshalb ich sie auch nicht beschuldigen kann, aber insgesamt sehen wir trotzdem die Erscheinung –, dass dort, wo es viele Einwanderer gibt, das die Sicherheit, das Lebensgefühl, die Lebensweise der schon früher da lebenden Menschen schwieriger wird, und sie schweren, gefährlichen Verbrechen ausgesetzt sind. Dies ist also ein Umstand, über den die europäische Elite ebenfalls nicht zu reden bereit ist, weil sie denkt, es sei nicht richtig, unschuldige Leute mit der Absicht zu verdächtigen, potentiell ein Verbrechen begehen zu wollen, womit ich im Übrigen einverstanden bin, weil wir niemanden in solch eine Lage bringen dürfen, denn einem jeden steht das Recht auf Menschenwürde, auf Freiheit und auf die Unschuldsvermutung zu, doch insgesamt muss man über die gesellschaftliche Erscheinung sprechen, dass dort, wo es viele Einwanderer gibt, die Kriminalität zunimmt.
 
Ja, aber die bisherige europäisch Strategie ist, ich glaube, das können wir jetzt schon nicht mehr als Frage, sondern als Aussage formulieren, verfehlt. Die Frage ist, ob es noch die Möglichkeit, ob es noch ausreichende Zeit zur Korrektur gibt? Vornehm formuliert, die Zeit des politisch Korrekten, also der PC ist vorbei.
 
Wir denken dies, aber ich sage noch einmal...
 
Nur wir denken dies?
 
Ja, ich denke, dass in den Brüsseler Innenbezirken die Stimmung noch nicht diese ist. Die führenden Politiker der Institutionen der Europäischen Union haben in den vergangenen drei Tagen nichts anderes getan, als uns das den Rachen hinunter zu schieben, als das durch die europäischen Menschen akzeptieren zu lassen, dass das, was geschehen ist, kein Grund sei, um unsere Politik, die Einwanderungspolitik zu verändern. Obwohl es Grund für noch viel mehr als das ist. In Wirklichkeit muss die gesamte europäische Politik neu gedacht und es muss ausgesprochen werden: Die Grenzen müssen geschützt werden, weil die Sicherheit mit dem Grenzschutz beginnt. Man muss aussprechen: Wir müssen unsere Kultur schützen, weil das Wesen Europas seine eigene kulturelle Identität ist, wir müssen unsere wirtschaftlichen Interessen schützen. Ich sehe es so, dass das, was Sie als Selbstverständlichkeit ansehen, und meiner Ansicht nach zusammen mit Ihnen noch sehr viele europäische Menschen, dass es als Folge der Ereignisse eine eindeutige und klare Änderung in der politischen Richtlinie geben wird, dies ist heute noch nicht so.
 
Wenn wir über den Schutz der Grenzen reden, über den Schutz all der Werte, auf die Sie, Herr Ministerpräsident, gerade eben verwiesen haben, dann ergibt sich die Frage, ob hierzu, wenn es notwendig ist – und weil es hierfür keine bessere Lösung gibt, dies haben im Prinzip schon alle europäischen führenden Politiker formuliert –, der Zaun ausreicht? Weil, so scheint es, den Terrorismus, die Terrorgefahr kann er nicht verhindern.
 
Jedoch muss die Grenze unter allen Umständen geschützt werden, weil dies die Terrorgefahr senken kann. Eine absolute Sicherheit gibt es nie. Doch unsere Verantwortung besteht darin, dieses Risiko auf das Minimum zurückzudrängen. Und hierzu ist der physische Grenzschutz notwendig.
 
Wenn Sie sagen, weil Sie haben in Ihrer Wortmeldung vor der Tagesordnung heute so formuliert, dass Europa eine neue Politik brauche, Europas Existenz auf dem Spiel stehe, stattdessen sende Brüssel eine Einladung, die Union treibe dahin, sei schwach, unsicher und gelähmt. Also habe Europa eine falsche Antwort auf die historischen Herausforderungen gegeben. Was erwarten Sie dann eigentlich von den führenden Politikern der Europäischen Union, sagen wir von Jean-Claude Juncker?
 
Der arme Jean-Claude Juncker befindet sich in keiner einfachen Lage, denn der allergrößte Teil der mit der Flüchtlingsfrage zusammenhängenden Entscheidungen liegen im nationalen Zuständigkeitsbereich. Die ungarische Grenze kann also die ungarische Regierung bewachen, die griechische Grenze müsste die griechische Regierung bewachen, doch sie tut es nicht. Die Rolle der Europäischen Union entsteht an dem Punkt, wenn es sich herausstellt, dass es Länder gibt – und Griechenland, ein Land mit dem wir im Übrigen sympathisieren, und die Griechen genießen in Ungarn auch aus historischen Gründen einen großen Respekt, jedoch ist letztlich die Situation doch jene –, dass wenn es ein Land gibt, so wie Griechenland, das einen Vertrag unterzeichnet, sich verpflichtet, seine Südgrenzen zu schützen – dies ist der Schengen-Vertrag –, es nicht macht, sie nicht verteidigt, dann muss man das erzwingen. Und an dieser Stelle kommt Brüssels Verantwortung ins Bild, dass wir uns mit allem möglichen beschäftigt haben – so hat man zum Beispiel ernsthafte Anstrengungen zum Angriff auf Ungarn mobilisiert –, jedoch damit, dass wir die Griechen dazu bringen, ihre eigenen Außengrenzen zu verteidigen, und wenn sie dazu nicht in der Lage oder dazu nicht bereit sind, dass wir eine zweite Verteidigungslinie festlegen, an der wir dann die Hereinkommenden kontrollieren werden, diese Entscheidungen sind alle ausgeblieben. Ich habe übrigens, Verzeihung, dies auf jeder Sitzung des Europarates vorgeschlagen. Das Gewissen der Ungarn ist also rein. Wir haben immer gesagt, wenn die Griechen ihre Landesgrenzen nicht verteidigen können, dann sollten wir gemeinsam dort hinuntergehen und sie verteidigen. Ich habe gesagt, wir müssen nicht von den Türken Sicherheit erbetteln, uns dadurch ausliefernd, sondern wir müssen die Grenzen Griechenlands verteidigen. Das Geld sollte man nicht den Türken geben, sondern den Griechen, damit sie ihren Grenzschutz ausbauen, und wenn sie dazu nicht bereit sind, dann muss man es den Bulgaren geben und muss es den Mazedoniern geben – eine zweite Verteidigungslinie aufbauend. Ungarn hat also ständig Vorschläge im Interesse einer Einwanderungs-, einer Migrantenpolitik ganz anderer Art gemacht. Diese unsere Vorschläge sind alle vom Tisch gefegt worden.
 
Und wird das auch in Zukunft so sein? Und klären wir an dieser Stelle noch etwas! Wenn Sie darüber sprechen, dass Europa eine neue Politik braucht, woran denken Sie dann genau? Müssen die gegenwärtigen Gesetze von Grund auf verändert werden? Ich denke hierbei zum Beispiel an den Vertrag von Lissabon, an die Überarbeitung des Dublin-Abkommens, oder denken Sie daran, dass die Gesetze eingehalten werden müssen und man in der Lage sein muss, diese einhalten zu lassen? Wozu anscheinend die Europäische Union, wie auch Sie formuliert haben, nicht in der Lage war.
 
Man muss jäten, also ausfiltern. Es gibt also Gesetze, über die es sich herausgestellt hat, dass man sie nicht einhalten kann. Dublin ist ein solches. Dublin ist tot. Das Schengen-Abkommen würde ich nicht ausfiltern, das muss man behalten, und man muss es schützen. Ohne das Schengen-Abkommen gibt es keine freie Bewegung und keine freie Wahl des Arbeitsplatzes in Europa. Es ist im Interesse jedes ungarischen Menschen, dass die Möglichkeit zur freien Bewegung und zur freien Wahl des Arbeitsplatzes erhalten bleibt. Dieser Vertrag muss meiner Ansicht nach verteidigt werden, doch können gleichzeitig nur jene Mitglieder dieses Vertrages sein, die ihn auch einhalten; jene, die ihn nicht einhalten, auch noch zugeben, dass sie ihn nicht einhalten, entweder weil sie es nicht können oder wollen, müssen aus diesem Vertrag hinaus gebeten werden. Und in erster Linie ist eine Veränderung der Denkweise notwendig. Ich wiederhole es noch einmal: Wenn die führenden Brüsseler Politiker davon ausgehen – und heute ist die Lage immer noch diese, heute, am Montagabend stehen die Dinge noch so –, dass ihrer Ansicht nach die Einwanderung eine gute Sache ist durch die ein jeder nur gewinne, obwohl die Einwanderung eine schlechte Sache ist, ein jeder verliert durch sie, das sehen wir jetzt schon, aber wenn es nicht zu diesem gedanklichen Wechsel in den Köpfen der führenden Politiker kommt, dann werden wir mit ihnen nicht vorankommen.
 
In solchen Momenten ergibt sich im Kopf der einfachen Menschen die Frage, gut, aber wie viele Menschen werden noch sterben müssen, dass die Führung der Europäischen Union, die führenden europäischen Politiker diese Alarmglocke ernst nehmen und sie hören? Was muss also geschehen, damit sich das Denken der Menschen verändert? In erster Linie das Denken der führenden Politiker denn in ihren Händen konzentriert sich die Macht und das Recht der Entscheidung.
 
Ich habe das Gefühl, dass jetzt schon der Abstand zwischen den Erwartungen, der Denkweise, dem Werturteil der europäischen Menschen und der führenden europäischen Politiker auf ein unerträgliches Maß angewachsen ist. Also niemand hat die führenden europäischen Politiker dazu ermächtigt, Hunderttausende hierher unkontrolliert hereinzulassen, sie hier hereinzutransportieren, überhaupt diese Einwanderungspolitik zu verfolgen. Und die Menschen, denn die europäische Politik, die bei weitem nicht fehlerlos, jedoch grundsätzlich in ihren Zellen – zumindest in ihren Stammzellen – doch eine demokratische Politik ist, kann über einen längeren Zeitraum keinen so großen Unterschied zwischen den Wählern, ihrem Instinkt, ihrem Denken, ihren Ansprüchen und der Denkweise der führenden Politiker vertragen. Deshalb glaube ich, dass es eine Frage der Zeit ist, jedoch wird das Volk, die Menschen, das europäische Volk, die Bürger der europäischen Nationen die gewählten Führer Europas auf ihre Seite ziehen. Die Frage ist nur, wie viel Zeit hierfür notwendig ist.
 
Ja, und was alles noch bis dahin geschehen wird, wie viele Menschenleben der Preis hierfür sein werden. Das, was Sie zuletzt gesagt haben, war, nicht wahr, auch bereits zuvor angesprochen worden. Also als die Einwanderer die Länder Europas, die Großstädte Europas praktisch überflutet hatten, dass der elitäre Diskurs die Stimme der Gesellschaft, die Stimme der Staatsbürger hören müsse. Der Staatsbürger hat eine Stimme. Wir haben in mehr als nur einem oder zwei Ländern gesehen, wie man auf die Entscheidungen der Regierungen der Nationalstaaten im Zusammenhang mit der Einwanderung reagierte, doch scheint auch dies nicht genug zu sein.
 
Es ist zu wenig.
 
So ist es. Was ist es dann, was den Wendepunkt bringen kann?
 
Eine noch größere Lautstärke ist notwendig.
 
Aber was bedeutet dies in der Praxis? Sollen noch mehr Menschen auf die Straße gehen?
 
Schauen Sie sich an, wie die europäische Politik funktioniert, wie sie auch in Ungarn funktioniert? Sie funktioniert so, dass die Menschen eine Meinung haben, diese drücken sie über verschiedene Kanäle aus, was ihre gewählten Vertreter entweder akzeptieren oder nicht. Wenn sie sie nicht akzeptieren, und die Ansprüche, die Forderungen des Volkes erhalten bleiben, dann müssen sich die politisch Führenden früher oder später hiernach ausrichten, oder sie werden weggeschickt. Wenn sie mit dem Volk nicht übereinstimmen, weil auch so was vorkommt, dann muss man den Hut nehmen und sagen: „Meine Herren, ich stimme dem nicht zu, das soll jemand anderes machen.”
 
Sie erwarten, verzeihen Sie, Sie erwarten das im Übrigen jetzt von den führenden Politikern der Europäischen Union, dass sie dies einsehen?
 
Ich erwarte nicht, wie soll ich es sagen, ich habe keine Erwartung. Die Politik besitzt ihre Gesetzmäßigkeiten, die europäische Kultur hat ihre Gesetzmäßigkeiten, und die werden sich mit der Zeit Geltung verschaffen. Ich glaube also, dass es Veränderungen geben wird. Die Frage ist nur, wann dies geschieht. Ich gehöre zu denen, die diese schon immer als eine verfehlte Richtung ansahen, und ich habe darauf gedrängt, dass die Veränderung so schnell wie möglich eintrete. Deshalb machen wir ständig in der Europäischen Union Vorschläge zur Veränderung. Bis jetzt sind wir immer in der Minderheit geblieben, ja es kam vor, dass wir allein blieben. Meiner Ansicht nach werden wir in der folgenden Zeit bessere Chancen haben. Wir wollen nicht passive Akteure und Betrachter der europäischen Politik sein, Ungarn macht ständig Vorschläge auf europäischer Ebene. Wir wollen uns also nicht gegenüber Brüssel verteidigen, Brüssel sind wir selbst auch. Europäische Union ist nicht etwas, das außerhalb von uns läge, weil auch wir Teil der Union sind. Wir machen also einen Vorschlag für die europäische Politik, wie sich die Dinge in Europa ändern sollen. Wir schmollen also nicht, weisen nicht ab, verteidigen uns nicht – manchmal ist auch das nötig –, sondern wir ergreifen die Initiative und wollen die europäische Politik verändern. Ich weiß, dass dies von einem Land mit zehn Millionen Einwohnern als ein vielleicht ungewohnte und zu ambitionierte oder einen zu großen Bogen beschreibende politische Aktion oder Plan zu sein scheint, doch müssen wir meiner Ansicht nach, besonders mit den anderen mitteleuropäischen Ländern, den Polen, den Tschechen und Slowaken zusammen Anstrengungen zur Veränderung der gesamten europäischen Politik unternehmen.
 
Ja, genau damit hätte ich fortsetzen wollen, wer hierbei unsere Verbündeten sein könnten? Und die andere Sache, die Sie auch gesagt haben, dass man kleine Schritte in die Richtung unternehmen muss, was Ungarn auch schon getan hat, damit sich das Denken der Europäischen Union verändert. Doch muss man hier nicht praktisch das Denken der 28 Mitgliedsstaaten verändern? Denn die 28 Mitgliedsstaaten bilden ja die Europäische Union. Und wenn wir uns der Sache von dieser Perspektive aus nähern, dann sehen wir, dass uns einige durchaus folgen. Denken wir zum Beispiel an den Zaun. Manche geben es zu, andere leugnen es, aber eine bessere Lösung hat bisher tatsächlich noch kein Nationalstaat gefunden.
 
Nun ja. Und wer es macht, aber nicht zugibt, der macht einen bemitleidenswert lächerlichen Eindruck. Aber das ist ein anderes Gespräch. Die baltischen Staaten teilen unseren Standpunkt, die Finnen haben schon dem Quotensystem nicht zugestimmt, auch die Rumänen haben nicht dafür gestimmt. Die Österreicher bauen schon einen Zaun, aber wir können die Frage des größten europäischen Staates nicht umgehen, weil der Schlüsselstaat letztlich doch Deutschland ist, und ich bin davon überzeugt, dass es die Deutschen nur einen einzigen Satz kosten würde, und dieser Flüchtlingsstrom würde zu Ende gehen. Heute gehen die Menschen, übrigens mit Menschenschlepperei, unterstützt durch Menschenschlepper sowie politischen Aktivisten, besonders unterstützt durch die Aktivisten des Soros-schen Netzwerkes, sie gehen aus dem Grunde aus ihrer Heimat los, weil, soviel sie wissen, und die Ereignisse bestätigen dies auch, sie in Deutschland erwartet werden. Solange die Deutschen nicht klar sagen – ich weiß, dass dies eine sehr schwierige Entscheidung ist, ich bringe sie also nicht mit einer kritischen Tendenz zur Sprache, sondern beschreibe es als Tatsache –, solange die Deutschen nicht klarstellen, dass es das gewesen war, Ende, sie empfangen keine weiteren Menschen, solange wird dieser Flüchtlingsstrom nicht abreißen. Aber ich sage es noch einmal: Ich sehe die Chance für eine Veränderung.
 
Worauf wartet Angela Merkel?
 
Ich weiß es nicht. Wir hatten auch mehrere Verhandlungen. Zum Teil im Kreis der EU 28, zum Teil auf bilateraler Grundlage. Was ich Ihnen jetzt gesagt habe, das habe ich auch im Laufe dieser Gespräche und Verhandlungen gesagt. Also das, was wir im Interesse der Veränderung der deutschen Politik tun können, oder die Gesichtspunkte, die wir der deutschen Politik anbieten konnten, damit es jenes eigentümliche, am Tor zum Balkan existierende ungarische System von Gesichtspunkten beachte, das hier aus unserem Leben zusammengetragen werden konnte, das haben wir auf den Tisch der Deutschen gelegt, jedoch entscheiden müssen sie sich.
 
Die Kardinalfrage und vielleicht einer der am heftigsten umstrittenen Diskussionspunkte war, nicht wahr, die Frage des Quotensystems, die Ungarn praktisch von Anfang an, konsequent zurückweist. Dies haben Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer heutigen Wortmeldung vor der Tagesordnung auch getan.
 
Besonders jetzt. Denken Sie daran...
 
So ist es. Warum ist es gefährlich?
 
Denken Sie daran, dass nach dem, was passiert ist, als es sich herausstellte, dass wir nicht wissen, wer gekommen ist, wir nicht wissen, was sie wollen, und augenscheinlich ist nicht ein jeder mit guten Absichten gekommen, jetzt nach all dem diese Menschen auf die europäischen Länder zu verteilen, ist nichts anderes, als die Terrorgefahr oder die Terroristen zu verteilen. Diese Situation würde verursacht werden, wenn Europa das Quotensystem erzwingen sollte, doch vorerst widerstehen wir noch, und ich hoffe, wir werden nicht ohne Erfolg sein.
 
Aber es gibt doch immer mehr, die widerstehen. Wie viel Zeit braucht die Union auch noch in dieser Frage, um diese Stimmen zu hören? Warum besteht die Union auf das Quotensystem auf dieser Ebene, trotz all dem, was bereits geschehen ist, und trotz der Warnungen?
 
Ich glaube, dass ein Fehler einen weiteren Fehler hervorbringt. Dies ist auch im Leben so. Das ist auch in der Politik ein starkes Gesetz, also wenn man einen Fehler begeht, sagen wir, man lässt zu viele Einwanderer herein, dann kann man zwei Dinge tun. Entweder man schickt sie zurück, oder man bittet die anderen, dass sie auch welche übernehmen. Und wenn diese keine übernehmen wollen, indem sie sagen, sie sind nicht die Ursache für jene Kriege, wegen der die Menschen geflohen sind, und dies ist, sagen wir, im Falle von Ungarn oder Mitteleuropa so, oder sie haben sie nicht hierher gerufen, dann können wir unseren eigenen Wählern nicht erklären, dass wenn dem so ist, wir dann aus welchem Grund von wem auch immer auch nur einen einzigen Menschen übernehmen müssten, ja vor allem während wir kontinuierlich dafür gekämpft haben, dass diese Menschen nicht nach Europa hereingelangen, und dabei auch große materielle Lasten auf uns genommen haben. Wir haben einen Zaun gebaut, haben unseren Grenzschutz verstärkt, wir haben also unsere Arbeit getan. Warum müssten wir dann Lasten auf uns nehmen, die den Fehlern anderer entspringen? Dies scheint keine logische Erklärung zu sein. Hinzu kommt noch, dass es ab jetzt nicht mehr nur einfach um die Übernahme materieller Lasten geht, sondern die Übernahme der Terrorgefahr. Ich kenne keinen Menschen, und ich bin sicher kein solcher, der „Ja“ dazu sagen würde, dass die ungarischen Menschen die Terrorgefahr von anderen Ländern übernehmen sollten, indem wir durch niemanden identifizierte Menschen hierher nach Ungarn hereinlassen.
 
Herr Ministerpräsident, sprechen wir noch, bitte, kurz über zwei Dinge! Das eine, dass Sie heute nach Montenegro zu einem offiziellen Treffen fahren wollten, statt dessen haben Sie entschieden, oder jenes Programm absagend haben Sie sich entschieden, im Parlament zu sprechen. Gibt es in Hinblick auf Sicherheitserwägungen einen Zusammenhang dazwischen, dass Sie Ihre Reise abgesagt haben, beziehungsweise den Ereignissen in Paris? Also haben Sie irgendeine Information erhalten?
 
Es gibt keinen Zusammenhang. Ich musste im Parlament mich zu Wort melden, weil wir in Ungarn das parlamentarische System haben. Wir leben in einer Welt, in der die Menschen Parlamentsabgeordnete wählen, und die Abgeordneten fällen die wichtigsten Entscheidungen. Deshalb müssen die gewählten Menschen des Landes, wenn in Europa so ein Ereignis geschieht wie in Paris am vergangenen Freitag, sich bei der ersten sich bietenden Möglichkeit zusammensetzen und darüber beraten, und das kann man nicht ohne den Ministerpräsidenten tun. Ich glaube also, dass es zum Wesen des politischen Systems unseres Lebens gehört, dass zu solchen Anlässen der Regierungschef dabei sein muss. Im Übrigen wollte ich aus dem Grunde nach Montenegro fahren, da wir ein ernsthaftes Ergebnis erreicht haben, denn seit Jahren vertritt Ungarn den Standpunkt, ich persönlich habe mich auch für diese Sache eingesetzt, dass wir Montenegro, das sich vorbereitet hat, das seine obligatorischen Aufgaben bewältigt hat, in die NATO aufnehmen sollten. Und dies kann bald geschehen, und in dieser Angelegenheit wollte ich dorthin reisen, doch ist diese Sache zwar wichtig, aber sie eilt nicht derart, wie jene Aufgaben, die nach dem Pariser Attentat auf Europa warten.
 
Also fällt die Konsultation nicht aus, sondern Sie haben sie verschoben.
 
Montenegro ist unser Freund. Montenegro ist – dies wissen die Ungarn vielleicht weniger – kein großes Land, doch sind wir dort zum Beispiel unter den ersten Drei in der Liste der Investoren. Von Ungarn aus ist also viel Kapital, sind ernsthafte Investitionen nach Montenegro gegangen, es handelt sich hier um ein befreundetes Volk, das sage ich noch einmal, mit dem wir seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten.
 
Was ebenfalls entfiel, das war der für den Sonntag geplante Kongress der Fidesz, der, nicht wahr, durch den Trauertag überschrieben wurde. Gibt es schon einen neuen Zeitpunkt?
 
Es gibt keine, aber morgen, übermorgen wird es schon einen geben. Es war eine schwierige Entscheidung, weil sie die Ordnung unseres Lebens und unsere Arbeit durcheinander bringt, aber im Leben einer politischen Gemeinschaft ist der Kongress eine Feier, und man kann nicht gleichzeitig sowohl feiern als auch trauern. Das wäre Nonsens. Deshalb haben wir der natürlichen Ordnung der Dinge nachgegeben, und am Sonntag war die Trauer. Den Kongress wird es zusammen mit dem Feiern später geben.
 
Sie haben vorhin so formuliert, dass es in einer solchen Situation die Aufgabe des Ministerpräsidenten ist, hier zu sein, und vor dem Parlament seine mit den Geschehnissen zusammenhängenden Gedanken vorzutragen. Was wird das nächste Forum sein, auf dem Sie diese mit anderen teilen, und mit wem?
 
Wir warten jetzt darauf, was geschehen wird, ob Brüssel eine neue Beratung zusammenruft, es werden sehr intensive Konsultationen zwischen den vier Visegrád-Staaten geführt. Also Zusammenarbeit der geheimdienstlichen Organisationen, Zusammenarbeit der Innenministerien, gemeinsame Arbeit der Ministerpräsidenten. Dies ist das Wichtigste, ich glaube, dass heute Mitteleuropa eine gesunde, auf Grund guter Lebensinstinkte wirkende Region Europas ist. Es geht nicht nur darum, dass wir einen Großteil des Wirtschaftswachstums der Europäischen Union produzieren, also dass Mitteleuropa auch eine wahre Wirtschaftslokomotive ist, sondern es beginnt sich auch in den politischen Diskussionen abzuzeichnen, es bildet sich ein Erscheinungsbild in solchen Fragen heraus wie zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, hinsichtlich des Quotensystems, des Grenzschutzes, es bildet sich also eine mitteleuropäische politische Kultur und ein dieses verkörpernde regelmäßige, gemeinsame Auftreten in Europa heraus. Ich knüpfe hieran Hoffnungen. Ich knüpfe nicht nur mitteleuropäische, sondern auch gesamteuropäische Hoffnungen daran.
 
Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen, dass Sie uns zur Verfügung standen!
 
Vielen Dank!
 

Amt des Ministerpräsidenten

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On Saturday morning, Prime Minister Viktor Orbán received President of Poland Andrzej Duda in Parliament.
In answer to questions from foreign journalists in Brussels on Friday, the second day of the summit of the European Union’s heads of state and government, Prime Minister Viktor Orbán said that Hungary does not like double standards, and therefore does not support them being applied to anyone, including Poland.
At a press conference in Brussels on Friday afternoon, in which he evaluated the agreement between the European Union and Turkey, Prime Minister Viktor Orbán said that Hungarian diplomacy has achieved its goals.
  • Viktor Orbán, 52
  • Lawyer, graduated at Eötvös Loránd University and studied at Pembroke College, Oxford
  • Married to Anikó Lévai
  • They have five children: Ráhel, Gáspár, Sára, Róza, Flóra
  • Chairman of FIDESZ, vice-chairman of the European People's Party

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